Interview mit der Journalistin und Autorin Petra Ramsauer
Petra Ramsauer zählt zu den wenigen Journalisten, die noch nach Syrien reisen können. Immer wieder war sie im Zentrum der Kämpfe, in denen die Menschen verhungern und umkommen – belagert und abgeschnitten von der Außenwelt. Sie hat mit Ärzten gesprochen, die unter Bombenhagel arbeiten, mit Bloggern, die unter Lebensgefahr Nachrichten aus dem Land schmuggeln, mit Kommandanten der bewaffneten Opposition und demokratischen Aktivisten, Vertretern des Regimes und der Kurden, mit Menschen, die geflüchtet sind, und anderen, die trotz allem bleiben.
In einfühlsamen Reportagen erzählt sie von all jenen, die in diesem schrecklichen Konflikt ums Überleben kämpfen.
Wie bist du dazu gekommen, über Kriege und Krisen zu berichten?
Das war eigentlich schon immer mein Wunsch. Es ging mir darum, die „andere“ Realität kennenzulernen; den Gegenentwurf zu unserer sicheren Welt in Europa. Das ist ja nur ein Minderheitenprogramm auf unserer Erde. Die meisten Menschen auf der Welt sind irgendwann in ihrem Leben mit Gewalt, extremer Armut und dem Kampf ums Überleben konfrontiert. Das ist vielen von uns fremd. Heute empfinde ich mich vor allem als Übersetzerin zwischen diesen Welten. So hätte ich es damals nicht formuliert, aber im Grund war das meine Motivation.
Bist du bei deiner Arbeit auch mit Vorurteilen konfrontiert? Zum Beispiel: Eine Frau schreibt doch nicht über Kriege?
Ja. Mit vielen Vorurteilen. Dabei hat eine Frau es oft einfacher als ein Mann. Ich werde nicht so leicht erkannt, beispielsweise, kann leichter in der Menge untertauchen. Angesichts der Entführungsgefahr in vielen Krisengebieten ist das ein immenser Vorteil. Und ich kann mit allen reden. Für einen männlichen Journalisten ist es sehr schwer, mit Frauen Interviews über Gewalterlebnisse zu führen. Dabei ist Gewalt gegen Frauen heute eines der größten Probleme in Krisen und Kriegen: In einem umkämpften Gebiet ist es unter den Betroffenen riskanter, eine Frau zu sein als ein Soldat. Das kann ich aufzeigen. Gleichzeitig sind es Männer gewohnt – auch in sehr konservativen Gegenden –, dass sie westlichen Reporterinnen Interviews geben. Ein Vorurteil, das mich oft ärgert, ist, dass es als Frau in islamisch geprägten Ländern sehr schwer sein soll. Ich frage dann immer zurück, woher diese Meinung kommt, und niemand kann es mir erklären. Faktum ist: über Kriege zu berichten ist immer schwer und belastend.
Warum bist du Journalistin geworden?
Ich konnte mir nie einen anderen Beruf für mich vorstellen. Außer Notfallmedizinerin, aber ich bin extrem ungeschickt beim Nähen. Darauf hat mich meine Mutter immer hingewiesen. Dafür kann ich ein wenig schreiben. Ich habe ein besonders gutes Gedächtnis, bin neugierig und hasse Routine. – Das hat gepasst.
Wo hast du deine journalistische Ausbildung genossen?
Als Lehrredakteurin im ORF und beim profil, später noch während eines Postgraduate-Studiums in Paris mit Schwerpunkt internationale Reportage.
Was war dein Antrieb/Beweggrund, Politikwissenschaften zu studieren?
Weil es ein sehr gutes Fundament für mich war, Journalistin zu werden. Ich habe bei dem Studium auch gelernt, richtig hinzusehen. Ich verdanke meiner Professorin Charlotte Teuber nach wie vor 75 Prozent all meines Wissens zur Geschichte des Nahen Ostens. Ohne sie wäre ich heute niemals die, die ich bin. Und das wäre traurig. Ganz wichtig war auch mein Anteil am Geschichtestudium (damals durften wir noch freie Fächer zu einem Hauptstudium kombinieren!). Die Einführung in das Studium der Geschichte versucht, Quellenkritik zu vermitteln, besonders beim Umgang mit „Primärquellen“. – Das ist heute besonders aktuell, wenn ich über soziale Medien plötzlich eine Fülle von Primärquellen habe und diese kritisch einordnen muss. Auch meine Seminare an der Philosophie haben mich sehr weitergebracht: ich lernte rasch, schwierige Texte zu lesen, und ich lernte zu denken.
Du hast „Die Klimarevolution“ und „So wird Hunger gemacht“ geschrieben. Warum hast du dich von Umweltthemen abgewendet?
Umgekehrt: Ich habe mich wieder den Themen angenähert, auf die ich eigentlich spezialisiert bin. Die Umwelt-Themen kamen durch Zufall in mein Leben. Wie John Lennon sagt: „Leben ist das, was passiert, während man Pläne macht.“ Und auf Umweltthemen bin ich gestoßen, während ich auf einen geeigneten Job als Auslands-Redakteurin gewartet habe. Insgesamt ist das ja eine perfekte Lebensmischung. Eine Portion Plan, eine Portion Zufall gut miteinander in Einklang zu bringen. Darum geht es doch. Heute profitiere ich enorm von meiner zweifachen Expertise: So ist der Konflikt in Syrien auch zum Teil ein Klima-Konflikt. Das zu erkennen, zu bewerten ermöglicht mir meine Arbeit an Umweltthemen. Doch mein Herz gehörte immer der Außenpolitik.
Was hat dich bewogen, über Nahostpolitik zu schreiben und nicht z. B. über Innen- oder EU-Politik?
Weil es für mich besser passt. Die Berichterstattung über Innenpolitik und EU-Politik erfordert ein ganz anderes Talent, als ich es habe. Da müsste ich mich sehr stark in juristische und wirtschaftspolitische Fragen einarbeiten. Das ist eine ruhige Tätigkeit. Und es erfordert viel Sitzfleisch bei Gipfeln, Klausuren wie auch die Bereitschaft, sich viel mit den Akteuren und Akteurinnen der heimischen Politik auseinanderzusetzen. Da gibt es Kollegen, die beherrschen diese Disziplin hervorragend. Ich bin eher spontan, reise extrem gerne und es macht mir eine große Freude, auch wenn es oft widriger ist als in Europa zu arbeiten, dort einzutauchen. Es ist oft schwierig zu erklären, was einen fasziniert. Für mich ist es eben diese Region.
Welche Länder hast du für deine Reportagen schon bereist?
Oh, das sind viele: Iran, Irak, Afghanistan, Israel, die palästinensischen Gebiete, Jordanien, Syrien, Ägypten, Libyen, die Ukraine, Georgien, Indien, Bhutan, Pakistan, Indien, Taiwan, China, Kiribati, Sudan, Kenia, Uganda, Malawi, Côte d’Ivoire, Mauretanien, Tschad, Mali, Südafrika, Niger, Kamerun, Libyen, Marokko, Russland und die USA natürlich und in Europa eigentlich jedes Land.
Recherchierst du immer vor Ort oder verlässt du dich auch mal nur auf Informanten?
Es kommt sehr häufig vor, dass ich mich auf meine Kontakte verlasse. Aber das sind jene, die ich von früheren Reisen persönlich kenne. Ausschließlich.
Woran arbeitest du zurzeit?
An einer Reportage aus Libyen, über Migration, über verschwundene Kinder auf der Flucht nach Europa und an einer Reportage über nach Afghanistan abgeschobene Flüchtlinge.
Gibt es schon Pläne für ein weiteres Buch?
Ja. Aber das wird ein ganz, ganz anderes Buch als die anderen fünf werden. Und es wird, auch wieder anders als bei den anderen, sehr lange dauern, es zu schreiben. Mehr verrate ich noch nicht.
Trotz all der Gräuel, mit denen du bei deinen Reisen und Recherchen konfrontiert bist, bist du ein optimistischer Mensch?
Sogar ein sehr optimistischer Mensch! – Mein Kollege Karim El-Gawhary hat in einem seiner Bücher geschrieben: „In Europa geboren zu sein, als Europäer, gleicht einem Lotto-Sechser.“ So empfinde ich es. Da ich das Leben der anderen kenne, kann ich das Leben hier in Österreich so richtig schätzen. Ich bin dafür sehr dankbar und das macht mich glücklich und optimistisch.
Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Dazu habe ich ein sehr klares Bild, aber das ist noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Ich werde sicher noch schreiben, aber mit neuen Zugängen.
Bei meinen Recherchen bin ich auf ein vegetarisches Kochrezept von dir gestoßen. Ist Kochen dein Hobby, bei dem du von deiner Arbeit abschalten kannst?
Nein. Schreiben und Kochen sind sehr ähnliche Tätigkeiten. Es braucht Intuition, die richtigen Zutaten im richtigen Maß. Es ist beides Alchemie. Ich denke beim Kochen ans Schreiben und beim Schreiben ans Kochen. Hobbys habe ich eigentlich nicht, denn ich habe ein Leben, in dem alles, was ich tue, schön ist und das, was ich 100% tun will. Ich bin, das weiß ich, sehr, sehr verwöhnt von meinem Schicksal.
Herzlichen Dank für das Gespräch!